Aufstockungsinitiative

Ein gleich langer Spiess für den Bestand



Die beantragte Ungültigkeit der Initiative macht deutlich, warum das Bauen im Bestand nicht mit den gleichen Karten spielt wie der Neubau, und es vielschichtige Eingriffe ins bestehende Recht bedarf, um dies zu ändern. Die zahlreichen Verstosse der Initiative gegen übergeordnetes Recht verdeutlichen, dass alle legislativen Ebenen betroffen sind und eine Bevorzugung des Bauens im Bestand kaum durchsetzbar ist. Es stellt sich die Frage, aus welchen Gründen sich das Planungsrecht so verhält.
Wer spielt mit den Spiessen von Bestand und Neubau?


Im Stadtratsbeschluss2 wird aufgezeigt, dass die Initiative unter anderem gegen Bundesrecht verstösst. Einerseits verlangt das Raumplanungsgesetz eine differenzierte, auf alle objektiven Gesichtspunkte ausgerichtete Raumplanung. Dies schliesst Pauschallösungen, wie die Koppelung der Geschosszahl an das Gebäudealter, grundsätzlich aus. Andererseits verlangt die Bundesverfassung Rechtsgleichheit, was einer unterschiedlichen Behandlung von Bestand und Neubau im Weg steht. Eine Bevorzugung des Bestandes verbietet sich damit indirekt, da die Abgrenzung zwischen Bestand und Neubau oder gar einer Zwischenstufe «neubauähnlich» schwierig zu definieren ist. Zudem kann bei einer Privilegierung nicht sichergestellt werden, dass die raumplanerischen Ziele, die hinter der Privilegierung stehen, wie z.B. Klimaneutralität oder preisgünstiger Wohnraum, auch erreicht werden.

Ob eine Bevorzugung des Bestandes gegenüber dem Neubau verhältnismässig ist, kann durchaus hinterfragt werden. Es besteht aber ein allgemeiner Konsens, dass Bestand und Neubau heute unterschiedlich lange Spiesse haben. Wo Pauschallösungen nicht gewollt oder nicht umsetzbar sind, müssen die Baugesetze durch Feinjustierungen auf den jeweiligen Gesetzgebungsebenen angepasst werden. Mögliche Stellschrauben können in der Definition von Höhen, Stockwerken, Ausnützung und auch bei den jeweiligen Messverfahren liegen. Solche Rahmenbedingungen sollten nicht nur in der anstehenden Revision der BZO untersucht werden, sondern auch auf kantonaler Ebene im PBG geprüft werden. Zudem sollten neben den Baugesetzen auch Gesetze zum Klimaschutz und Treibhausgasemissionen sowie Normen der Bauwirtschaft diskutiert werden. Der Bestand könnte beispielsweise durch eine angemessene Besteuerung der freigesetzten Treibhausgase, seine Vorteile gegnüber einem Neubau besser ausspielen. 

Normen und Gesetze, welche den Neubau bevorzugen
      
  • Parkplätze: Die PPV10 setzt eine fixe Anzahl von Parkplätzen fest, die pro erstellte Wohnungen (je nach Grösse) bereit gestellt werden muss. Falls dem nicht nachgekommen werden kann, fallen Ersatzabgaben für die Eigentümer:innen an und es werden somit Mehrkosten generiert.  

  • Kellerabteile: Durch das BBV I11 vom Kanton geregelt. Je nach Anzahl Zimmer pro Wohnung müssen mind. 5m2 oder 8m2 Abstellfläche für Mietende bereitgestellt werden. Wie das genau mit der Besitzstandsgarantie funktioniert, ist oft unklar.

  • Lärmschutz: Lärmschutzverordnung12 auf Gemeindeebene. Die Baustandards verändern sich fortlaufend; häufig entsprechen Bestandesbauten nicht den neusten Standards, werden aber mit den neusten Standards geprüft. 

  • Brandschutz: Auch Brandschutzvorschriften der VKF definieren den aktuellen Baustandard, welche den Bestand benachteilen. 

  • Barrierefreiheit: Die Norm SIA 50013 und BehiG vom Kanton Zürich14, legen unterschiedliche Standards für Barrierefreiheit fest. Dies erfordert häufig einen extensiven Eingriff in Bestandesgebäude. Folglich entstehen Mehraufwände in der Planung und grössere Baukosten. 

  • Erdbebensicherheit: Auch hier sind via Normen der SIA15/16 bauliche Standards definiert, welche das Bauen im Bestand einschränken. Das Ausmass von baulichen Massnahmen wird via Standardlösung definiert. 

  • Energie/Gebäudehülle: Vorschriften zu Energie und Gebäudehüllen17 definieren bauliche Standards, welche den Bestand benachteiligen. Auch hier sind könnten aber im Einzelfall die nötigen Massnahmen gelockert werden, vor allem in Fällen, wo diese Standards einen Erhalt eines Bestandesgebäudes verunmöglichen. 

  • Grenzabstände, Höhen, baurechtliche Definitionen: Die Art und Weise, wie diese Bestimmungen aus PBG18 und BZO19 gemessen werden, haben sich über die Jahre verändert. Auch hier könnte ein Bauvorhaben gestoppt werden, weil es nicht mehr konform mit heutigen Rechten ist. (Die Besitzstandgarantie ist bei grösseren baulichen Eingriffen, wie z.B. einer Aufstockung, nicht immer gegeben).
 
Der Bestand wird aber nicht nur durch Gesetze und Normen benachteiligt, sondern auch durch die angestrebten hohen Branchenstandards. Ein gutes Beispiel dafür ist der aktuelle Abbruch der bestehenden Blockrandbebauung der Siedlung Kornhaus-/Rötelstrasse. Der Ersatzneubau realisiert trotz eines zusätzlichen Geschosses nur rund 10 Wohnungen mehr als der Bestand, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Wohnungen heute standardmässig grösser sind als früher. Diese hohen Standards und unsere Ansprüche daran müssen im öffentlichen Diskurs kritisch hinterfragt werden.

Abbruchbilder Kornhausstrasse


Wir fordern, dass der Bestand dem Neubau vorgezogen werden kann. Auch wenn das Bundesrecht dem entgegensteht, stellen wir uns die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, vor dem Hintergrund der Klimakrise die Entscheidung für den Bestand leicht zu beeinflussen. Letztlich liegt die Entscheidung im konkreten Einzelfall weiterhin bei den Eigentümer:innen.


Eine Volksinitiative kann entweder als ausgearbeiteter Entwurf oder als allgemeine Anregung eingereicht werden. Während sich ein ausgearbeiteter Entwurf formell ohne weitere Erläuterungen oder Korrekturen in das betreffende Gesetz einfügen muss, kann mit einer allgemeinen Anregung ein Anliegen ohne konkreten Gesetzestext zur Abstimmung gebracht werden. Nach ihrer Annahme muss sie erst in eine entsprechende Rechtsform gebracht werden. Eine allgemeine Anregung verspricht daher fälschlicherweise, eine vage Forderung in den Raum stellen zu können. Das stimmt aber nicht ganz, denn eine allgemeine Anregung darf nur formal, nicht aber inhaltlich vage sein! Eine in der Initiative geforderte Stossrichtung muss auch bei einer allgemeinen Anregung von den Behörden gewahrt werden und darf nicht als auszulotende Forderung in einer anderen Form umgesetzt werden.